Break down

Liebe Maja,

es tut mir sehr leid, aber ich habe Dein Buch beschädigt. Es sind jetzt so viele Eselsohren an den Seiten, die mich an Absätze erinnern sollen, die ich nochmal und nochmal lesen muss, dass es insgesamt reichlich lädiert aussieht.

Du plagst Dich als Polit-Ökonomin, Transformationsforscherin, Honorarprofessorin, ehemalige Campaign Manager Climate Energy für den World Future Council, ehemalige Direktorin Zukunftsgerechtigkeit, Mitbegründerin der „Science for Future“-Kampagne, wissenschaftliche Direktorin von The New Insititute und Mitglied*in zahlreichen wichtigen Vereinen durch die Wirtschaftswissenschaft und Volkswirtschaftslehre und fasst das in kurze, auch für Laien wie mich gut verständliche Worte.

Bleibt immer nur das im menschlichen Tun hängen, was letztendlich zu seinem kurzfristigen Vorteil und seiner nicht mehr allzu mittelfristigen, zahlenmässigen Reduktion, wenn nicht gar Auslöschung führt? Trotz oder wegen aller wissenschaftlich ermittelten, in Deinem Buch gelisteten Paradoxien, dem Easterlin-Paradox, dem Jevon-Paradox, dem Versorgungsparadox, der Auswahl-Paradoxie, zwischen Trickle-Down- und Rebound-Effekt?

Wieder kommt mir Theodor Adorno in den kahlrasierten Schädel. „Es läßt sich privat nicht mehr richtig leben“, in der endgültigen Fassung „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, im „letzten deutschen Volksbuch der Philosophie“⁽¹⁾ mit dem bezeichnenden Titel „Minima Moralia – Reflexionen aus dem beschädigten Leben“.

Mehr Wissen. Ewiges Wachstum im Kopf. Wollte die katholische Kirche traditionell seit „Gründung“ für den weitaus überwiegenden Teil der Weltbevölkerung nicht genau das unterbinden?

„God, grant me the serenity to accept the things I cannot change, Courage to change the things I can, And wisdom to know the difference.“ (Nicht-Naturwissenschaftler Reinhold Niebuhr, amerikanischer Theologe, Philosoph und Politikwissenschaftler, * 21.06.1892, † 01.06.1971)

Sokrates ist auch paradox. Einerseits wird ihm in den Mund gelegt:

„Wer nichts weiß und weiß nicht, daß er nichts weiß, ist ein Tor – meide ihn.
Wer nichts weiß und weiß, daß er nichts weiß, ist bescheiden – belehre ihn.
Wer etwas weiß und weiß nicht, daß er etwas weiß, ist im Schlafe – wecke ihn.
Wer etwas weiß und weiß, daß er etwas weiß, ist weise – folge ihm.“

Andererseits soll er gesagt haben:

„Ich weiß, dass ich nichts weiß“

Ob es eher „Ich weiß, dass ich nicht weiß“ heißen soll, bleibt dabei genau so unsicher wie der Wahrheitsgehalt darob, ob denn auch nur einer dieser Sentenzen jemals von Sokrates geäußert wurde. Wahr bleibt, dass die Geschichten die Menschen formen, das ist die Macht der Worte auf die Anhänger, Nachfolger, Gläubigen, Fanatiker, diejenigen, die auf den Schultern von Riesen stehen, was immer sie da auch anstellen und was immer das auch für ein Riese war.

Nichts genaues weiß man nicht, mit den zahlreichen Paradoxien in den Wissenschaften. Ich durfte einen kleinen Einblick in die naturwissenschaftliche Arbeitsweise erhaschen, rund um Axiome und Beweise in der linearen Algebra und der Physik, Galileo Galilei lässt grüßen. Seine wissenschaftliche Arbeitsweise betrifft nur die Naturwissenschaften. Ein Axiom wäre wohl: es gibt Naturwissenschaft ohne „Natur“ davor und darin, die Menge aller Wissenschaften außerhalb der Menge aller Naturwissenschaften. Ein Alias für diese Menge könnte lauten: „unnatürliche Wissenschaften“.

Sollte es Nicht-Naturwissenschaft erlaubt sein, sich mit der Natur zu beschäftigen? Mit all den Paradoxien aus Psychologie, Politik und Wirtschafts-„Lehren“, mit all dem Menscheln und Paradoxieren? Ist Menscheln Natur? Ein Paradoxon? Ein Befund, der beim üblichen Verständnis der betroffenen Gegenstände bzw. Begriffe zu einem Widerspruch führt („Wörterbuch der Philosophischen Begriffe“ von Arnim Regenbogen und Uwe Meyer)?

Wissenschaften wissen nicht, dass sie nichts wissen.

Meine Frau hat heute keineswegs leichten Herzens eine Scheibe Speck weggeworfen, die hatte geschimmelt. Das macht mich fertig. Das wäre noch vor drei Wochen nicht passiert. Aber ich habe meinen Fleischkonsum stark reduziert. Und ich war unwissend: es war mir nicht bewusst, dass eine Scheibe Speck eingewickelt in einem plastifizierten Papier im Kühlschrank zum Verzehr im verlängerten Haltbarkeitszeitraum vor sich hin kühlt. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Gar nicht gut. Zu viel Besitz, Überbesitz, mehr als verbraucht. Hätten wir den Speck jemals gebraucht? Und noch schlimmer, ganz ohne Fleischgeschmack und Fleischgenuss: wird der Rebound-Effekt meiner überwiegend vegetarischen Neuorientierung zum Untergang der Menschheit, der Frucht meines Leibes bzw. derjenigen dessen meiner Frau, beitragen?

Maja. Du kennst doch die Weisen in den Vereinen und Gremien. Was tun? Effektiv, oder vielleicht besser nicht-effektiv, anti-effektiv im Sinne eines Überlebens der Menschheit, die die Natur braucht?

Wie ändern, wie abweichen von dem, was vorgelebt wurde, was ich vorlebe, immerhin im 45. Lebensjahr, auslebe, „automatisiert“, unterbewußt, unbewußt und leider auch im falschen Bewußtsein verlebe? Was belohnt wird von den Mächtigen, Halbmächten und Ohnmächten auf Erden?

Die EU ist sich der Problematik, die Sie ihr mit vielen anderen Nicht-Natur-Wissenschaftler_innen und Naturwissenschaftler_innen näher gebracht haben, scheinbewusst. „Unsere“ Ex-„Panzer-Uschi“ trägt es vor, gewürzt mit viel „billions“ und „trillions“ (https://ec.europa.eu/info/strategy/recovery-plan-europe_de), verankert in vielzähligen EU-Kommissionsvorschlägen, die zum Teil zu ausgedünnten Beschlüssen führen, die zu vielen länderspezifischen, vollen Euro-Töpfen führen, die zu „Grants“ für neue Traktoren und effizientere Schweinefarmen usw. führen. Alles nachlesbar unter dem EU Green Deal, der EU Biodiversitätsstrategie 2030, #NextGenerationEU uvm. auf der Webplattform der EU. Macht wenigen Leuten viel Spaß!

Verzicht durch Förderung von „nachhaltigerem Wachstum“. Ist das Unsinn? Die Dummheit regiert bei mir den Kühlschrank wie bei den EU-Töpfen und den Nicht-Natur- und Natur-Wissenschaften, soweit ich bisher nicht durchblicke. Sie ist endlos, da war sich der Naturwissenschaftler Einstein gewiss, hat es aber nicht bewiesen, ganz wie Nicht-Natur-Wissenschaftler_innen sich vielfach von Axiomen und Beweisen frei machen. Einstein zitiere ich gerne. Der wusste was.

Ich wüsste auch gern was. Zeit wär’s!